REISEN: Unterwegs in Deutschland

Ein autobiographisches Gedicht von Ernst Bloßfeldt (*1812 - †1895). Mit Erläuterungen

von Detlef Rothe aus Hagen in Westfalen



Ein Urururgroßvater mütterlicherseits, nämlich der Kupferschmied Ernst Bloßfeldt (*1812 - †1895) aus Roßla (Kr. Sangerhausen, Sachsen-Anhalt), hat ein autobiographisches Gedicht hinterlassen, welches als vervielfältigte Maschinenabschrift in meinem Verwandtenkreis kursiert. Wegen zahlreicher Anspielungen auf tagespolitische Ereignisse und kulturelle Entwicklungen seiner Zeit - hingewiesen sei hier nur auf die Erwähnung von Christbaum-Gedanken und Weck(mann)-Genuß in Köln 1832 und auf den Gebrauch der Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth 1836/1837 als Pferdebahn - halte ich es für angebracht, es einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Der Text folgt hier (abgesehen von offensichtlich erforderlichen Korrekturen) dem Maschinentext, welchen ich von einer Enkelin des Verfassers erhalten habe; diese Dame - eine geborene Charlotte Klara Herold - ist mittlerweile verstorben. Der Verbleib des Originals ist mir (wie auch meinen verbliebenen Verwandten) unbekannt. Den Reimen hat übrigens vermutlich wenigstens ein Wanderbuch zu Grunde gelegen, welches aber wohl nicht erhalten ist.

Meine Mutter stellte mir dankenswerterweise eine undatierte Photographie zur Verfügung, welche den Autobiographen im hohen Alter - also etwa um 1890 - in einer Porträtaufnahme zeigt. Dieses Foto entstand laut Rückseite im Fotoatelier von A. Spieß in „SANGERHAUSEN an der Promenade":

EU/D/SA/SGN/Blossfeldt/18xxx_EU_D_SA_SGN_Sangerhausen_Ernst_Blossfeldt_(A.Spiess)


Folgen Sie nun meinem Vorfahren auf seiner Reise in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts - seien Sie unterwegs durch Deutschland und Österreich in der Morgenröte der Industrialisierung Mitteleuropas und freuen Sie sich mit mir über die gereimte Fassung einer historischen Autobiographie!

EU/D/Harz/Suedharz-Hinweis
Visieren Sie:" Rücke vor zum Südharz!
(... und das ohne ,Rückreise-Visum' Erroeten.gif)



Vorbemerkungen

Die Zahlen in eckigen Klammern [] stehen für eine Einteilung der Reime in Strophen, welche so nicht aus dem Maschinentext hervorgehen. Die Absatzbildung des Maschinentextes erscheint teilweise als willkürlich. Daher wurden mittels der Klammern an den Zeilenenden (Reimen) orientierte Einteilungen nach Versen bzw. Sätzen hinzugefügt.

Die Zahlen in eckigen Klammern <> wurden gleichfalls ergänzt und beziehen sich auf das im Anschluß wiedergegebene Itinerar, welches auf Grund des vorliegenden Textes erstellt wurde.

Die runden Klammern sind dem Maschinentext entnommen und beinhalten wohl (in der Regel) nicht originale Einschübe bzw. Erläuterungen vermutlich von Ernst Bloßfeldt oder von Seiten seiner Kinder.

Waagerechte Trennlinien wurden dort eingefügt, wo am Ende einer Strophe ein --Zeichen erscheint, welches keine Trennung innerhalb eines Satzgefüges darstellt.

Zum Schluß ein Tipp: am besten liest man das Gedicht im Tonfall der Reime eines Heinz Erhardt; beide Dichter scheinen mir gewissermaßen seelenverwandt zu sein!

EU/D/Harz/Suedharz-W-O-Wege
West-Ost-Wege am Südharz



[1] Zur Fastenzeit [1812] ward ich gefischt,

und Kräppeln waren aufgetischt -

doch wer dieselben hat verzehrt,

hab' ich bis heute nicht gehört,

denn Gäste, die da sind gekommen

- den Eltern alle anverwandt -,

als sie so einen Schrei vernommen,

sind unaufhaltsam fortgerannt.


[2] So kam ich störend auf die Welt,

wie später mir dies' wurd' erzählt.


[3] Ob ich mich nun in Kindestagen

auch störrisch oder gut betragen,

ob ich der Mutter Lob erwarb,

weiß ich auch nicht, denn leider starb

sie mir und Schwester viel zu früh. -


EU/D/SA/Rossla/Rossla_um_1900
Roßla um 1900 (Postkartenmotiv)

[4] Nicht nur in Roßla <1> stand in Ruf

der Vater - er war Damenschneider

(von 1826 bis 1848 Ortsvorsteher) -,

weil er die schönsten Kleider schuf

in der Umgebung, selbst noch weiter.

[5] Beim Handwerk hatt' er noch daneben

das Brückengeld und auch den Zoll

für den Herrn Grafen zu erheben.

[6] Nun, selbstverständlich ist doch wohl

bei Mühe, Ärger und Verdruß

(durch Rheinländer Fuhrleute)

geblieben noch ein Überschuß.


[7] Geboren noch im lieben Sachsen (1812)

bin ich als Preuße aufgewachsen.

[8] Zur Schule und bei Cantor Fesseln

tat ich als Schüler meine Pflicht,

doch daß ich später mich mit Kesseln

'rumplagen sollte - das ahnt' ich nicht.

[9] Noch außer Stunden, außer Schule,

hatt' ich beim Vater Unterricht,

und stehend neben einem Stuhle

- des Abends, bei beschränktem Licht -

mußt' lesen ich, wohl oder übel,

oft zwei Kapitel aus der Bibel.

[10] Die Predigt in der Kirche Räumen

- des Sonntags - durft' ich nicht versäumen,

und in der Regel war sie lang!

Im Sommer ging's - bei strengem Winter

da waren allgemein die Kinder

oft steifgefroren auf der Bank.

[11] Das Trampeln konnte jeder hören -

der Superintendent
(Zöllich) ließ sich nicht stören.

[12] Es wurden - nebenbei zu sagen -

ausschließlich Jacken nur getragen,

sehr selten Röcke
[= Überröcke (Mäntel)], Unterhosen,

auch Mützen nicht; mit Kopf, dem bloßen,

lief jeder Junge frank und frei.


[13] [Die] Schuljahre waren bald vorbei,

da hieß es nun: „Was willst du werden?"

Da war es, als vor einem Haus

ich stehen blieb und in Gedanken

entzückt besah die schönen blanken

geputzten Waren von Metall.

EU/D/BW/SA/Kelbra/Kelbra_20021021
Ortsansicht Kelbra um das Jahr 2000

[14] In Kelbra <2> war's, zur Jahrmarktzeit.

Der Vater, der mich mitgenommen
[hatte

und] vorangegangen [war] - ziemlich weit -,

hieß mich nun näher zu sich kommen

und sagte: „Solche hübschen Sachen

kannst du ja ferner lernen machen."

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Das Rathaus zu Nordhausen in Thüringen um 1905 (Postkartenmotiv)

[15] Bestimmt war nun der weit're Schritt,

denn bald lernt' ich als Kupferschmied

vier Jahre lang in
[der] Stadt Nordhausen <3> (1826 - 1830)

dies' Handwerk trotz des Ohrensausen. -


[16] Inzwischen ward noch ungeniert

des Tanzes Kursus absolviert.

[17] Geübt mit Händen und mit Beinen,

mit Kleidung und mit Reisegeld

versehen, konnte
[ich] nicht verneinen

den Aufenthalt in Bitterfeld
<4>.

[18] Es wurde mir hier angetragen

[eine] Beschäftigung, und ohne Zagen

nahm
[ich] dankbar diesen Antrag an.

Mit Anfang in dem Wanderleben

wurd' hier Gelegenheit gegeben,

praktisch zu zeigen, was man kann. -


EU/D/BB/Potsdam/Potsdamer_Glockenspiel_20021021
Das Glockenspiel der Garnisonskirche zu Potsdam

[19] Gut eingeführt in jeder Weise

setzt' später manche Wanderreise

vergnügt und froh ich weiter fort,

berührte Städte, Dörfer viel.

[20] So hört' ich auch das Glockenspiel

in Potsdam
<5>, diesem schönen Ort;

[dort] klingt's - stündlich bittend - weit und breit:

„Üb´ immer Treu´ und Redlichkeit!"
Note.gif

[21] Unausgesetzt den Marsch nach Osten

verfolgend sollte ich bald kosten

die Herrlichkeiten von Berlin
<6>.

Als ich hier warf mein Bündel hin,

da fragte man, ob ich dies trüge

- so schwer war es -, doch keine Lüge:

„Wer sollt' es
[denn sonst] tragen?" - Nur ein Ahnen

hatt' man zur
[damaligen] Zeit von Eisenbahnen.

[22] Vom Hut [nahm ich] das Wachstuch [als Regenschutz] nun herunter,

um anzuschauen all' die Wunder

der Großstadt und der Residenz,

womöglich
[= möglichst] nur im Licht der Rosen,

im schwarzen Frack, in weißen Hosen;

[hier] war die Parole: „nur Frequenz [= Besuch]".


[23] Wie alles nun hat seine Grenzen,

so
[auch] der Genuß - ein länger[es] Schwänzen,

das kostet Geld und hat keinen Zweck;

d'rum weiter nun nach Osten - Westen?

So fragt man sich: „Was ist am besten?"

Gewechselt wird mit jedem Fleck

hin auf das Amt der Polizei:

[24] „Wohin?" - Lang[es] Sinnen konnt' nicht helfen!

„Visieren Sie: nach
[dem] Land der Welfen."


[25] Nutzbringend ward mir diese Wahl,

denn Brandenburgs und Braunschweigs Auen

(halbjähriger Arbeitskursus in Helmstedt <7>)

hatt' ich Gelegenheit zu schauen,

desgleichen auch den Oberharz.

[26] Und als ich Hildesheim <8> im Rücken [hatte],

schritt ahnungsvoll mit Sehnsuchtsblicken

ich näher nun der Residenz

der Welfen zu
[in Braunschweig]; es war im Lenz [= Frühling].

[27] Hier fand ich wieder [ein] Unterkommen

(halbjähriger Aufenthalt)

zu meinem und des Meisters Frommen.

EU/D/NS/H/SW-AK_EU_D_NS_H_Hannover_Breitestrasse_mit_Alter_Kanzlei_um_1910
Breitestraße mit der Alten Kanzlei in Hannover (Niedersachsen) um 1910 (Postkartenansicht)

[28] Hannover <9> - Deiner [ge]denk' ich gern'!

[Du] bleibst unter Städten stets ein Stern.


[29] Mit zwanzig Jahren [1832] hat man Pflichten;

da hilft kein Trachten und kein Dichten,

[um] zu bleiben, wo man sich gefällt.

Die Wanderzeit ward unterbrochen

in Saalfeld
<10>, und nach ein'gen Wochen

war
[man] als Rekrut schon eingestellt.


[30] Jetzt hieß es: nicht den Mut verlieren

[und] von Halle <11> nach dem Rhein marschieren,

stramm durch Westphalen, ohne Tritt;

so
[auch] alle meine Kameraden,

die zu dem Marsche eingeladen
[waren].

Gepäck - das hatte keiner mit.

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Der Heumarkt in Köln etwa um 1920 (Postkartenansicht)

[31] Nach Wochen - endlich! - hört von Weitem

man feierlich ein Glockenläuten.

„Cöln
[= Köln <12>]!", hieß es, „Unsere Garnison!"

Bei manchem Ungemach, Beschwerden -

hier sollte uns Erholung werden!

Man wünschte Ruhe nur als Lohn.

[32] Ermüdet legten wir uns nieder.

Christnacht war's. Meine Augenlider:

sie bleiben lange offen stehen.

O, heil'ge Nacht! In der Kaserne

- ihr Englein all - laßt in der Ferne

im Traume mir den Christbaum seh'n! -


[33] Als nun erschien des Festes Morgen,

vergaß man nicht, für uns zu sorgen.

Ein jeder kriegte
[= bekam] seinen Weck -

[es blieb] ununtersucht, von welchem Mehle;

anfänglich drückt' er in der Kehle,

doch später ging es nun wie Speck. -


[34] [Als] Soldat, zu Wasser und zu Lande

- Pontonier der 4. Pionier-Abteilung -,

macht' ich dem Wehrstand keine Schande,

und Schwimmen lernte ich im Rhein!

Sonach noch oft naß, doch nicht vom Wein.

EU/D/RP/KO/Ehrenbreitenstein/Farb-AK_EU_D_RP_KO_Koblenz_Ehrenbreitenstein_um_1960
Ansicht der Feste Ehrenbreitenstein in Koblenz um das Jahr 1960

[35] Nach einem Jahr hieß es: Marschieren,

den Rhein entlang, Coblenz
[= Koblenz <13>] berühren!

Recht freudig hatten wir vernommen,

daß wir nach
[= zur] Festung Erfurt <14> kommen.

Dort exerziert' ich noch ein Jahr.


[36] Vom Dienst auf unbestimmte Zeit entlassen,

beeilt' ich mich, bald zu erfassen

den Hammer; denn nicht lange war

ich - wie man so sagt - auf den Krücken.

Das Reisebündel
[war] auf dem Rücken

[und] Hannover wieder nächstes Ziel

(6 Wochen Aufenthalt).

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Bremen anno 1900 (Postkartenmotiv)

[37] Mit Urlaubspaß durft' ich nicht reisen

ins Ausland, sondern nur in Preußen.

Das war verdrießlich, doch den Mut

und
[die] Reiselust ließ [ich] mir nicht nehmen.

Ach, dacht' ich,
[du] bist so nah' bei Bremen <15>,

nimmst wahr der Nordsee Ebbe und Flut!

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Ein Windjammer im Hafen von Hamburg (Foto: Detlef Rothe, 30.4.1983)

[38] In Hamburg <16> machte ich den Versuch

(6 Wochen Aufenthalt):

ich bat mir aus
[= ich erbat] ein Wanderbuch.

[39] Doch dieses wollte mir nicht glücken,

d'rum kehrt ich Hamburg bald den Rücken,

sah Lübeck
<17>, Wismar <18>, [Bad] Doberan <19>.

In Mecklenburg kam
[ich] besser an.

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Der Malerwinkel an der Obertrave in Lübeck (Foto: Detlef Rothe, 1.5.1983)

[40] In einem Städtchen - 's hieß Cröslin [= Kröslin <20>] -

fragt' mich der Wirt: „Wo geh'n Sie hin?" -

[41] Nicht aufgelegt, ja voll Verdruß -

die Antwort war: „Wohin ich muß!

[42] Nach Stralsund <21>, [dann zu] der Insel Rügen." -

„Ach, lassen Sie den Paß hier liegen!

Geh'n Sie nach uns'rer Polizei;

ich mache es mir zum Vergnügen,

[dafür] zu sorgen, daß Sie frank und frei

- mit einem Wanderbuch versehen -

die Wege ihrer Wahl nur gehen."

[43] Und alle waren mir in Sicht -

den Liebesdienst vergaß ich nicht!

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St.-Georgen- und Marienkirche zu Wismar um 1905 (Postkartenmotiv)

[44] Zunächst ein Seebad nun genommen

am heilgen Damm
[= in Heiligendamm <22>] und dann gekommen

zurück nach Wismar! Weil Moneten

ich aber hatte recht von Nöten,

frug brieflich
[ich] in der Heimat an.

EU/D/MV/Wismar/3-Pfennig-Muenze_Stadt_Wismar_1824
3-Pfennig-Münze „MONETA NOVA WISMARIENSIS" anno 1824

[45] Mit Geld - [dabei] den Ochsenkopf im Wappen -

ging ich nun Preußen durch die Lappen.

[46] Ein König nun, in voller Freude,

zog ich durch die Lüneburger Heide,

nach Braunschweig
<23>, Cassel [= Kassel <24>], Frankfurts <25> Flur.


[47] Inzwischen darf ich nicht vergessen

den Aufenthalt in Kassel, Hessen
(16 Wochen).

[48] Die Wilhelmshöh und die Cascaden:

wer sie nicht kennt -
[weil er] uneingeladen [blieb] -, folgt

gern den Reizen der Natur.


[49] So ungehindert konnte [ich] Staaten,

auch Städte etc. seh'n - in Baden:

Worms
<26>, Mannheim <27>, Heidelberger <28> Faß

- groß ist's, doch leer! Um nachzulaben

am Most, ging's nach dem lieben Schwaben

- nach Stuttgart
<29> - ohne Unterlaß (14 Tage Aufenthalt).

[50] Die Schritte nach der Schweiz zu lenken,

durft' damals ja kein Wand'rer denken,

denn polizeilich war's Verbot.

EU/D/BW/Heidelberg/19760805_Altstadt_Heidelbergs_vom_Schloss_aus
Die Altstadt von Heidelberg von der Schloßruine aus gesehen (Foto: Detlef Rothe, 5.8.1976)

[51] So wandert' ich ganz unbefangen

in's Bayernland: Bamberg
<30>, Erlangen <31>.

[52] An Reisegeld war keine Not,

denn solches mußte man auf Reisen

beim Länderwechsel bar aufweisen
(5 Taler).

[53] Wer's oft nicht hatte, kriegt's [= bekommt es] geborgt!

„Von wem?", so könnte man wohl fragen.

Wer gut gekleidet, konnt' es wagen -

und wer dem Wirt ein Pfand besorgt. -


[54] Bald wäre man ja zu beneiden,

wenn's
[= wenn das] Reisen nicht auch Schattenseiten [hätte].

Zumal wenn's regnet, frieret, schneit -

dann bleiben nur zu oft empfohlen

Strümpfe und ganze Stiefelschalen.

[55] Den Mangel konnte [ich] in Bayreuth <32>

nach längerem Aufenthalt ersetzen
(3 Monate),

um weiter mich nun zu ergötzen

an Bayerns Hauptstadt -
[um] sie zu sehen,

konnt' ich Fürth
<33> und Nürnberg <34> nicht umgehen.

[56] Hier [gab es (seit Dezember 1835)] Deutschlands erste Eisenbahn.

Die Schnelligkeit ging damals
[erst langsam] an,

[denn] von Pferden wurde man gezogen;

man sah auf keinen Dampf, auch keinen Rauch.

Des Sonntags
[nur], bei fahrlust'gen Wogen

nahm man das Dampfroß in Gebrauch.

[57] Was sind 2 Stunden Eisenbahnen

für Wanderers müde Untertanen?

[58] Wenn lästig oft, blieb's [doch] immer schön,

[dem] wer in die Fremde konnte geh'n.

EU/D/BYL/N/Holzschnitt_Ludwigsbahn_Nuernberg-Fuerth_1835_KLEIN
Holzschnitt der Ludwigsbahn von 1835

[59] D'rum wieder frisch d'rauf losgegangen

hin nach der Festung Ingolstadt
<35>.

Nachdem
[ich] dieselbe unbefangen,

die Wälle auch, besehen hatt',

da fragte
[ich] mich - und war gespannt -,

wie es wohl wär' am Isarstrand?

EU/D/BYL/M/Nymphenburg/19820418_Schloß_Nymphenburg_in_Muenchen_KLEIN
Schloß Nymphenburg zu München (Foto: Detlef Rothe, 18.4.1982)

[60] Ach, München <36>! [Das] sollte mir auf Erden

ein kleines Eldorado werden,

wenn auch nur auf ein ganzes Jahr.

Es war zu schön,
[und] selbst auf Gefahr[hinweise,]

der Cholera wegen es zu meiden
(1837),

ließ
[ich] mich durch Bitten nicht verleiten [= abhalten]

- obgleich die Sterblichkeit war groß!

Es lebte sich in Münchens Schoß

ja so gemütlich, und sich
[zu] trennen

hielt sich
[= war] immer schwer, um sie zu nennen:

von der Familie Daxenberg.

[61] Auch abgesehen von Kunstgenüssen

- da durft' man keineswegs vermissen,

was zu des Leibes Wohl gehört.


[62] Mit rauher Hand - ich kann's nicht leugnen -

nahm
[ich] sonntags Unterricht im Zeichnen,

[und so] sehe ich noch immer meinen Finken

von einem Kirschzweig niederblicken.

[63] Treu hab' ich ihn damals [wieder]gegeben;

obgleich
[jetzt] vergilbt, fehlt ihm bloß Leben.

EU/A/Salzburg/colorierte_AK_EU_A_Salzburg_Panorama_etwa_um_1910
Panorama von Salzburg in Österreich etwa um 1910 (Postkartenansicht)

[64] Nun wieder [ein] Wechsel! Schwer beladen

mit Ranzen ging's nach Berchtesgaden
<37>,

nach Salzburg
<38> - unter Ehrenpforten

ist mir hier ein Empfang
[bereitet] worden

wie nie, doch wurde ich belehrt:

[65] Der Festschmuck galt der Krönungsreise (nach Mailand),

dem Kaiserpaar. Auf die Weise

es nun auch noch der Zufall wollte,

daß ich gleichzeitig sehen sollte

die Wasserkünste von Hellbrunn
<39>.

EU/A/Linz/Schloss/Schloss_zu_Linz_in_Oberoesterreich_19830928
Schloß und Donau zu Linz (Oberösterreich) um 1980

[66] Doch weiter ging es nun nach Linz <40>.

Hier zahlt' ich einen kleinen Zins,

um auf der Donau - dieser blauen! -

mir Österreichs Klöster (M
[elk <41>] und [Kloster-]N[euburg <42>]) anzuschauen.

[67] So kam [ich], trotz Strudel [im Fluß], bald nach Wien <43>,




warf wiederum mein Bündel hin

und
[war] glücklich, wie es sich sollt' finden:

[68] ein ganzes Jahr blieb es nun liegen,

denn eingeführt wurd' ich gleich gut

von einem Freund (Braunschweiger Blut).

[69] Sonach ein Landsmann sonder Gleichen

tat er sich mir behilflich zeigen,

daß ich Beschäftigung dort fand.

[70] Erst in der Stadt, dann in Vorstädten,

wurd' flott geschafft, und an Moneten

war Mangel nie. Sie reichten aus,

daß man zuweilen einen Schmaus

„Backhähnel, Gänsel, Tyroler Strudel,

Spanferkel und der Suppen Nudel"

sich konnt' erlauben ohne Pump.

EU/A/Wien/City/Karlsplatz/19741009_Vor der Karlskirche in Wien
Motiv an der Karlskirche zu Wien (Foto: Detlef Rothe, 9.10.1974)

[71] Was sonst noch zu dem Wiener Leben

gehört hat, denkt man sich daneben:

hauptsächlich die Gemütlichkeit!

Das liebe Wien! Ich kann nicht fassen

den Eindruck, den es hinterlassen

für frühere und selbst späte Zeit.

[72] War's dein Glacis mit seinen Bäumen?

Warum mußt' ich von dir nur träumen?

Ich weiß es nicht: ich bin gemeint;

die Träne war's, die ich geweint

(beim Scheiden aus der Vogelperspektive).

EU/CZ/Prag/19771006_Prag-Kleinseite
Kleinseite mit Burgberg zu Prag (Foto: Detlef Rothe, 6.10.1977)

[73] [Die] Gelegenheit, nach Prag <44> zu fahren,

benutzte
[ich] gern, um [mir] zu ersparen

den läst'gen Marsch durch's Böhmerland
[= Böhmen].

[74] Als ich in Teplitz [= Teplice <45>] angekommen [war]

- zwei Tage Bäder hatt'
[ich] genommen -,

sehnt' ich mich nach der Elbe Strand,

[nach] der Sachsen Schweiz, um [sie] zu besuchen.

Ach, welches Pech! Man konnte fluchen:

[75] es regnete den ganzen Tag.

Aus war es da mit dem Vergnügen.

Was half's! Man mußte sich d'rein fügen.

Zum Glücke unweit Schandau
<46> lag

ein Dampfschiff, und ein Glockenläuten

schien dessen Abfahrt anzudeuten.

[76] „Hallo! Wohin?" - „Nach Berne [= Pirna <47>], Dräsen [= Dresden <48>]!"

Jetzt war ich in der Schweiz
[„der Sachsen"] gewesen

und
[hatte doch] nichts gesehen im lieben Sachsen,

in dem inzwischen 'rangewachsen

ein lieber trauter Gegenstand,

der mir nicht fremd
[war]; doch [um] ihn zu sehen,

sollt' noch ein halbes Jahr vergehen,

denn nördlich hatt' ich mich gewandt,

[um] Berlin auch praktisch zu genießen

[und] dann meine Wanderlust [zu] beschließen.


[77] Und Achtzehnhundert Neun und Dreißig [= 1839]

in Roßla war's, als ich so fleißig

beschäftigt war mit Kupferkesseln,

da lag ich unversehens in Fesseln

der Ehe. Nun, für's ganze Leben,

mußt' ich mich dem Geschick ergeben;

[78] erträglich sind sie (die Fesseln) stets gewesen.

Bei einem lieben, guten Wesen

nahm ich nun Stellung ein als Mann.

Und Jahre lang an dessen Seite

teilend des Lebens Schmerz und Freude

war sie
[= es] mir Frau und Ehegespann.

[79] So zogen wir den Ehewagen

in guten wie in bösen Tagen

mit Mut und stiller Zuversicht.


[80] Es fehlte nicht an Kindersegen -

nicht immer ist
[einem] daran gelegen.

Geübt wird treu die Mutterpflicht.

[81] Bei Arbeit, Sorge unverdrossen

sind Ehejahre eingeschlossen

rund 36 an der Zahl
[1875].


Von höchster Hand war es beschieden:

gestört wurd' der Familienfrieden

plötzlich durch jähen Todesfall.

[82] Geschieden nun von ihren Lieben

- von Kindern, die am Leben blieben -,

bleibt Liebe ihr noch über'm Grab.

Geblieben ist sie uns im Bilde:

ihr Blick, die reine Herzensmilde,

fällt auf die Enkelschar herab.


[83] Die Jugend, hoffnungsvoll und munter,

steigt auf zum Berg; gebückt geht runter

das Alter, langsam Schritt um Schritt -

nimmt sich in Acht vor einem Falle. -


Was hilft es denn? Wir machen alle

früh oder spät einen Fehltritt

- von Jung und Alt gleichwohl gemieden.

Wer ihn getan, hat Ruh' und Frieden.


[84] Es ist einmal des Menschen Los.


Mensch! Lebe darum nicht vergebens -

und gleitest du vom Pfad des Lebens:

dein letzter Hauch sei: „Gott ist groß!"
"



Die ergänzte Textfassung sowie das Itinerar unterliegen dem Urheberschutz (Copyright) des Verfassers. Wiedergabe-Rechte nur auf Anfrage! Der Reintext ist frei verfügbar, sollte allerdings - da andere Textwiedergaben und dadurch bedingte Irritationen nicht auszuschließen sind - mit einem Quellenvermerk versehen sein.

Hinweise auf die Originalfassung - und sich daraus ergebende Korrekturen - werden dankbar entgegengenommen!



Itinerar von Ernst Bloßfeldt annos 1812 - 1839

EU/D/Karte_Intinerar_Ernst_Blossfeldt_1812-1839

Zeit Ort Land Aufenthaltsdauer Anmerkungen
1812 - 1826 Roßla <1> preuß. Prov. Sachsen 14 Jahre
1826 Kelbra <2> preuß. Prov. Sachsen zur Zeit des Jahrmarkts
1826 - 1830 Nordhausen <3> preuß. Prov. Sachsen 4 Jahre
1830 - 183x Bitterfeld <4> preuß. Prov. Sachsen
183x - 183x Potsdam <5> preuß. Prov. Brandenburg
183x - 183x Berlin <6> preuß. Prov. Brandenburg
183x - 183x Helmstedt <7> Hzm. Braunschweig 1 Halbjahr wohl im Winter 1831/32
183x - 183x Oberharz Kgr. Hannover
183x - 183x Hildesheim <8> Kgr. Hannover
1832 - 1832 Braunschweig <23> Hzm. Braunschweig 1 Halbjahr Ankunft im Frühling
1832 - 1832 Hannover <9> Kgr. Hannover Ankunft im Herbst
1832 - 1832 Saalfeld <10> Thüringische Staaten mehrere Wochen im Herbst
1832 - 1832 Halle <11> preuß. Prov. Brandenburg im Herbst
1832 - 1832 preuß. Prov. Westfalen mehrere Wochen Durchreise im Dezember
1832 - 1833 Köln <12> preuß. Rheinprovinz 1 Jahr Ankunft 24. Dezember
183x - 183x Koblenz <13> preuß. Rheinprovinz Durchreise 1833 oder 1834
183x - 183x Erfurt <14> preuß. Prov. Sachsen 1 Jahr 1834/1835
183x - 183x Hannover <9> Kgr. Hannover 6 Wochen
183x - 183x Hamburg <16> Freie Stadt Hamburg 6 Wochen Anreise über Bremen <15>?
183x - 183x Lübeck <17> Freie Stadt Lübeck
183x - 183x Wismar <18> Grhzm. Mecklenburg
183x - 183x Bad Doberan <19> Grhzm. Mecklenburg
183x - 183x Kröslin <20> preuß. Prov. Pommern
183x - 183x Stralsund <21> preuß. Prov. Pommern
183x - 183x Insel Rügen preuß. Prov. Pommern
183x - 183x Heiligendamm <22> Grhzm. Mecklenburg
183x - 183x Braunschweig <23> Hzm. Braunschweig Anreise durch die Lüneburger Heide
183x - 183x Kassel <24> Kurfürstentum Hessen 16 Wochen
183x - 183x Frankfurt am Main <25> Freie Stadt Frankfurt
183x - 183x Worms <26> Grhzm. Hessen
183x - 183x Mannheim <27> Grhzm. Baden
183x - 183x Heidelberg <28> Grhzm. Baden
183x - 183x Stuttgart <29> Kgr. Württemberg 2 Wochen
183x - 183x Bamberg <30> Kgr. Bayern nach Januar 1835
183x - 183x Erlangen <31> Kgr. Bayern nach Januar 1835
183x - 183x Bayreuth <32> Kgr. Bayern nach Januar 1835
183x - 183x Fürth <33> Kgr. Bayern nach November 1835
183x - 183x Nürnberg <34> Kgr. Bayern nach November 1835
183x - 1837 Ingolstadt <35> Kgr. Bayern nach November 1835
1837 - 1838 München <36> Kgr. Bayern 1 Jahr nach Juli 1836 bis vor September 1838
1838 - 1838 Berchtesgaden <37> Kgr. Bayern vor September 1838
1838 - 1838 Salzburg <38> österr. Prov. Salzburg über Hellbrunn <39>; vor September 1838
1838 - 1838 Linz <40> österr. Prov. Oberösterreich
1838 - 1838 Melk <41> österr. Prov. Niederösterreich Donaufahrt
1838 - 1838 Klosterneuburg <42> österr. Prov. Niederösterreich Donaufahrt
1838 - 1839 Wien <43> österr. Prov. Niederösterreich 1 Jahr Ankunft über die Donau
1839 - 1839 Prag <44> österr. Prov. Böhmen Ankunft per Mitfahrgelegenheit
1839 - 1839 Teplice <45> österr. Prov. Böhmen
1839 - 1839 Schandau <46> Kgr. Sachsen Durchreise über Elbehafen
1839 - 1839 Pirna <47> Kgr. Sachsen Elbefahrt
1839 - 1839 Dresden <48> Kgr. Sachsen Elbefahrt
1839 - 1839 Berlin <6> preuß. Prov. Brandenburg 1 Halbjahr
1839 - 18xx Roßla <1> preuß. Prov. Sachsen 1839 Heirat

Hinweis: Bei der Angabe Land habe ich mich auf einen Geschichtsatlas gestützt, welcher die Territorien der Kleinstaaten vor der Entstehung des Zweiten Reichs (anno 1871) darstellte. Die Angaben erfolgen ohne Gewähr! Erfurt ist heute die Hauptstadt Thüringens, und auch die Kreisstadt Nordhausen habe ich als thüringische Stadt kennengelernt.



Erläuterungen

[4] Der Ort Roßla gehört zum Landkreis Sangerhausen im Bundesland Sachsen-Anhalt. Der Personennachname Bloßfeld kommt auch heutzutage noch unter Bürgermeistern der Gegend vor; ein „Herr Bürgermeister Ullrich Bloßfeld" findet beispielsweise im Dezember 2010 unter http://www.rossla.de/vgem/parlamente.htm als Mitglied des Gemeinschaftsausschusses der Verwaltungsgemeinschaft Roßla-Südharz Erwähnung. Hinweisen möchte ich darauf, daß bei meinen in Sangerhausen wohnenden Verwandten Wert auf die Schreibweise ,Bloßfeldt' gelegt wird, weil sich auf diese Weise Familienzweige unterscheiden ließen.

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Schloß Roßla um 1900 nach einer Ansichtskarte

[5] Im Jahre 1706 hatte mit Graf Jost-Christian I. zu Stolberg-Roßla die durch Erbteilung neu gegründete Linie dieser Grafen ihren Hauptwohnsitz im Schloß zu Roßla genommen http://www.rossla.de/geschichte.htm. Das Schloßgebäude erinnert mich an Cappenberg bei Lünen in Westfalen.

[7] Nach dem Wiener Kongreß anno 1815 gehörte Roßla zur Provinz Sachsen im Königreich Preußen.

[20] Die in den Jahren 1731 bis 1735 errichtete evangelische Garnisonkirche zu Potsdam mit ihrem 88,4 m hohen Turm (einer der schönsten Barocktürme Norddeutschlands) und dem weltbekannten Glockenspiel war ein Wahrzeichen und Symbol der Stadt. Das Spielwerk konnte mechanisch und mit der Hand bedient werden. Seit 1797, dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms III., erklang zur vollen Stunde „Lobe den Herrn" und zur halben Stunde „Üb' immer Treu und Redlichkeit"; außerdem gaben die Glocken im Abstand von 7 ½ Minuten die Uhrzeit an (http://www.garnisonkirche.de/Das_Glockenspiel/eine_Geschichte/eine_geschichte.html - im Dezember 2010 nicht verfügbar; vgl. aber http://www.preussisches-kulturerbe.de/geschichte/index.html - leider mit fehlerhaftem Link zum Glockenspiel - eine PDF-Datei ist aber abrufbar). „Üb' immer Treu und Redlichkeit" gilt als preußische Nationalhymne (zum Text siehe den Anhang); die Melodie von Wolfgang Amadeus Mozart stammt aus einer Arie des Papageno in der „Zauberflöte" - (Note.gif http://www.preussenchronik.de/meta/0040000.ram); obwohl die Goldammer als Singvogel nur eine einzige Strophe beherrscht, soll gerade diese als Vorlage für die Melodie gedient haben (http://www.biogarten-kalender.de/vogelportraits/goldammer.htm - im Dezember 2010 nicht verfügbar! Zur Melodie des ,Vogels des Jahres 1999' allgemein vgl. den NABU-Artikel).

[21] Im Jahre 1825 veröffentlichte Friedrich Wilhelm Harkort (*1793 - † 1880), welcher in Westerbauer - einem heutigen Ortsteil von Hagen in Westfalen - geboren wurde und dort im Haus Harkorten aufwuchs, in der Nummer 26 der Zeitschrift „Hermann“ den Aufruf, zwischen Köln am Rhein und Minden an der Weser eine Eisenbahn zu bauen. Anno 1833 legte dann Friedrich List der sächsischen Regierung erstmals einen genauen Plan vor, wonach alle großen deutschen Städte durch Bahnlinien schnell und bequem erreicht werden könnten („Über ein sächsisches Eisenbahnsystem als Grundlage eines deutschen", Leipzig 1833). Bis zum Bau einer dampfgetriebenen Zweischienenbahn in Deutschland vergingen noch zwei Jahre. Nicht nur der Schienen-, sondern auch der Flußverkehr erhielt durch die Dampfmaschine im Jahr 1835 (dem Gründungsjahr der Sächsischen Dampfschiffahrt) neuen Auftrieb!

[23] Der Hinweis auf das Amt der Polizei, welches in jedem Flecken aufgesucht werden mußte, ist vor dem Hintergrund der französischen Juli-Revolution anno 1830 und der deutschen Kleinstaaterei zu verstehen. Durch die Unruhen sah sich unter anderem der preußische König zu strafferen Polizeimethoden und Pressezensurmaßnahmen veranlaßt. Ähnlich verhielt es sich in Bayern, beklagte sich doch diesbezüglich anno 1833 der neunzehnjährige, liberal erzogene Kunststudent Friedrich Pecht aus Konstanz über die Verhältnisse in München: „Der unleidlichste Polizeidruck lastete auf der Stadt, [...] wo der Fremdling gleich nach seiner Ankunft sich persönlich auf der Polizei zu melden und um Aufenthaltsbewilligung zu flehen hatte. [...] Überall hatte man die Empfindung, daß man nur eben geduldet sei, aber nicht mucksen dürfe, wenn man nicht fortgeschubst werden wollte [...]." (Zitat nach Ludwig Schrott, Münchner Alltag in acht Jahrhunderten. Lebensgeschichte einer Stadt, München o.J. [wohl 1969], S. 152, Abs. 1). Mich erinnern diese Verhältnisse übrigens frappierend an Eindrücke bei den örtlichen Meldebehörden anläßlich von Reisen in die DDR.

[30] „stramm durch Westphalen, ohne Tritt" heißt: ohne Fuß zu fassen, feldzugmäßig. Aus der Sicht eines heimatverbundenen Westfalen ist der Text hier ausgesprochen dürftig; so bleibt fraglich, ob der Rekrut auf der Kölnischen Straße Hagen (und Harkorten mit seiner Pferdeeisenbahn) berührt hat. ,Heinrich' Heine war da in seinem „Wintermärchen" wesentlich ausführlicher!

[31] Nachdem das Rheinland 1815 dem Königreich Preußen zugefallen war, wurden Düsseldorf und Trier Garnisonsstädte, Köln und Koblenz überdies Festungsstädte.

[32] Der Begriff „Christbaum" war in der Mittelgebirgszone üblich, während man im nördlichen Flachland bereits vom „Weihnachtsbaum" sprach. Dieser weihnachtliche Lichterbaum wurde im nordwestlichen Deutschland erst im 19. Jahrhundert heimisch.

[33] Der Weck - in Form des „Weckmanns" (Stutenkerl) oder anderer Figuren - stellt einen Vorläufer des Weihnachtsgebäcks dar.

[50] Die badische Verordnung zum Verbot des Wanderns von Handwerkern in der Schweiz wurde am 14. Februar 1835 erlassen.

[56] „In Deutschland kam zuerst von 1825-32 die 17 Meilen lange Eisenbahn von Budweis in Böhmen nach Linz zu Stande, deren Oberbau von Holz ist, die nur mit Pferden befahren wird und neuerdings um neun Meilen bis Gmünden verlängert wurde, jedoch keine glänzenden Erfolge hatte [...]. Mit Dampfmaschinen wird noch keine deutsche Eisenbahn, außer der am 5. Dec. 1835 eröffneten, zwei Stunden langen Ludwigsbahn zwischen Nürnberg und Fürth, befahren, welche hauptsächlich Personen fortschafft [...]." (Zitat aus: Bilder-Conversationslexikon für das deutsche Volk. Ein Handbuch zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse und zur Unterhaltung. In vier Bänden, Bd. 1: A - E, Leipzig (Brockhaus) 1837, Stichwort „Eisenbahnen" - http://www.bics.be.schule.de/son/verkehr/eisenbah/dokument/bro_eisb.htm). Erwähnt sei in diesem Zusammenhang noch die Schlebusch-Harkorter Kohlenbahn von 1830/31, eine von Friedrich Harkort initiierte Pferdebahn für Güterverkehr auf Holzschienen mit Bandeisenauflage, deren Trasse in Hagen/Westfalen und Wetter/Ruhr noch im Gelände zu verfolgen ist. Siehe dazu auf dieser Website bei Hagener Eisenbahnen und - unter ,Örtliches' / ,Wetter an der Ruhr' - bei Regionales.

In München fuhr bereits auf dem Oktoberfest des Jahres 1837 eine Eisenbahn, denn dort hatte der Schausteller Wirth aus Würzburg eine etwa 140 Meter lange Ringstrecke aufgebaut, auf welcher die Waggons „in unbegreiflicher Schnelligkeit" von etwa sieben Stundenkilometern dahineilten (Ludwig Schrott, Münchner Alltag in acht Jahrhunderten. Lebensgeschichte einer Stadt, München o.J. [wohl 1969], S. 170, Abs. 1)

[60] Im August 1836 wurden Cholerafälle im bayerisch-österreichischen Grenzort Mittenwald gemeldet, kurz darauf in München; die letzten Ausläufer dieser Cholera-Pandemie erloschen 1837 (http://www.gapinfo.de/gesundheitsamt/alle/seuche/infekt/bakt/chol/sg.htm#Die%20Cholera%20in%20München%201836). Man beachte, daß diese Epidemie in München Carl Spitzweg dazu veranlaßte, in die Berge zu flüchten (nach Gern). - „1836/37 herrscht die Cholera und fordert unter 1976 Erkrankten 918 Todesopfer. Behördern und Ärzte beteuern, die Brechruhr sei nur auf unreifes Obst, verdorbenes Bier und vernachlässigte Diarrhöe zurückzuführen. Man läßt sie reden und befiehlt sich Gott. [...] Das sieht nach Fatalismus aus, hat aber die Vitalität der Bevölkerung nicht gelähmt." (Ludwig Schrott, Münchner Alltag in acht Jahrhunderten. Lebensgeschichte einer Stadt, München o.J. [wohl 1969], S. 179, Abs. 1 f.)

Die Münchnener Gemütlichkeit ist schon fast sprichwörtlich. Privatsphäre wurde zudem im biedermeierlichen München großgeschrieben, wie Ludwig Schott darlegte (ders., Münchner Alltag in acht Jahrhunderten. Lebensgeschichte einer Stadt, München o.J. [wohl 1969], S. 139, Abs. 4): „Man möchte daheim in seien vier Wänden [sein], wo man hinlänglich eingerichtet ist mit Möbeln, Heiligenbildern und Uhren, mit Porzellan-, Zinn- und Kupfergeschirr, wo alles seinen Platz und jedes Familienmitglied auch seine Aufgabe hat, man möchte da einfach nicht durch Gäste inkommodiert sein."

Bei dem erwähnten Namen „Daxenberg" handelt es sich eigentlich um eine oberbayerische Ortsbezeichnung; für Personen dieses Nachnamens habe ich derzeit keinen Beleg, so daß hier vielleicht ein Lesefehler vorliegt.

[61] „Das gut bürgerliche alte ,Baierische Kochbuch für Fleisch- und Fasttage', das berühmte ,Regensburger', als Lektüre schon ein Genuß, kennt neben über 30 Arten der Rindfleischbereitung an die 70 verschiedene Pasteten und über 200 Mehlspeisen." (Ludwig Schrott, Münchner Alltag in acht Jahrhunderten. Lebensgeschichte einer Stadt, München o.J. [wohl 1969], S. 138, Abs. 3)

[62][63] In München lebten im 1. Viertel des 19. Jahrhunderts Autodidakten als Maler, welche - um ihre Werke ausstellen zu können - im Jahre 1824 als Bürgerinitiative einen Kunstverein gründeten, und zwar den ersten Kunstverein in den deutschen Landen. Da gab es einen Maler namens Lichtenfeld, dessen Fach das der Nacht- und Mondscheinbilder war. Zwengauer war berühmt für sein Abendrot, Eduard Grützner für seine trinkenden Mönche; Sebastian Habenschaden malte Jäger, Alpen und italienische Folklore. Heinrich Bürkel erzählte von alpenländischen Bauern und Jägern und von südländischen Hirten und Reisenden. Ludwig Hartmann malte Pferde, und Johann Friedrich Voltz fast nur Kühe. In diesem Maler- und auch Freundeskreis fand Carl Spitzweg Hilfe und Ermunterung; nach seiner Rückkehr entstanden im Jahr 1837 dessen ersten Vorzeichnungen zu seinem „Armen Poeten" (http://www.spitzweg.de/Seiten/Reife.htm - im Dezember 2010 nicht verfügbar!).

Um sich ein Bild vom biedermeierlichen München aus Künstlersicht zu machen, sei hier auf den Hamburger Maler Friedrich Wasmann verwiesen: „Es war damals ein freudiges Wirken und Zusammenleben in München, wie noch keine Zeit es gesehen, der fröhliche Jugendrausch eines jungen Deutschland." (Zitat nach Ludwig Schrott, Münchner Alltag in acht Jahrhunderten. Lebensgeschichte einer Stadt, München o.J. [wohl 1969], S. 151, Abs. 3)

Auf Zweigen sitzende Finken sind aus der Porzellanmalerei bekannt, doch bleibt derzeit unklar, wer die „rauhe Hand" von Ernst Bloßfeldt geleitet hat. (Im Schloß Nymphenburg zu München gab es eine Porzellanfabrik.) Der Hinweis auf den Sonntagsunterricht deutet auf eine Feiertagsschule hin. Erwähnt sei hier dazu bloß, daß es in München seit 1792 die Feiertagsschule für Künstler und Handwerker („Feiertägliche Zeichnungsschule“) von Hermann Mitterer und ab 1793 die „Männliche Central-Feiertagsschule" von Franz Xaver Kefer gab, in welchen auch Zeichnen unterrichtet wurde. Auf Mitterers Initiative hin wurde bereits im Jahre 1789 der Zeichenunterricht in allen Schulen Bayerns zwingend eingeführt. Beide oben genannten Schulen wurden bald nach ihrer Gründung vereinigt; es herrschte Schulpflicht für alle Lehrjungen, auf deren Einhaltung die Zünfte hinwirken mußten. Mit der Sonn- und Feiertagsschule war übrigens ab Oktober 1805 die „Erste lithographische Kunstanstalt“ verbunden, welche zehn Jahr später in den Besitz H. Mitterers gelangte (Wikipedia-Artikel zu Hermann Mitterer, Wikipedia-Artikel zur Feiertagsschule München - Stand: 25.4.2015).

[65] Kaiser Ferdinand I. von Österreich (1835 - 1848) wurde am 6.9.1838 in Mailand (Italien) mit der „eisernen Krone von Monza" gekrönt.

[75][76] „ein Dampfschiff, und ein Glockenläuten": Entsprechend dem Text auf der Seite ,SCHIFFFAHRT' der Homepage des Verkehrmuseums Dresden schlug die Geburtsstunde der sächsischen Personen-Dampfschiff-Fahrt im Jahr „1837 mit dem kleinen Seitenrad-Dampfer ,Königin Maria'“. Anscheinend hat Ernst Bloßfeld also dieses Fahrzeug benutzt, welches aber bald durch weitere ergänzt wurde. Ich verweise diesbezüglich auf den Aufsatz Dampf auf der Oberelbe von Michael Fichte in der Ausgabe 3/2011 des 40. Jahrgangs der Dampferzeitung des Vereins Dampferzeitung in Luzern (Schweiz), September 2011, S. 26 - 31. Darin heißt es, die 1835 gegründete Elbdampfschiffahrtsgesellschaft habe den Dresdner Professor J. A. Schubert mit der Konstruktion und den Bau der ersten Schiffe betraut, und dieser habe für das erste Schiff ,Königin Maria' „den Einbau einer Hochdruckdampfmaschine mit Lokomotivkessel" vorgesehen (S. 26). Das ließ sich auf Grund von Vorschriften aber nicht verwirklichen, und nach erfolgtem Einbau „einer 2-Zylinder-Niederdruck-Seitenbalanciermaschine mit Niederdruckkessel der Firma Egells, Berlin" mußte man schließlich einen größeren als vorgesehenen Tiefgang des Schiffes hinnehmen (ebenda). „Bis 1838 folgten zwei weitere Schiffneubauten. Sie erhielten die gleichen Maschinenanlagen." (ebd.) - Wegen des nicht vermeidbaren Tiefgangs dieser Fahrzeuge kam es auf der Oberelbe bei Niedrigwasser zu häufigen Fahrtausfällen und damit wirtschaftlichen Schäden für die Betreiberin (ebd.). Erst 1841 waren die erstgebauten Schiffe ,Königin Maria' und ,Prinz Albert' mit Niedrigdruckmaschinen der britischen Firma John Penn & Son (Greenwich) ausgestattet, wodurch sich deren Verfügbarkeit verbesserte (ebd.).



Der Text zur Glockenmelodie der Postdamer Garnisonskirche


Text: Ludwig Heinrich Christoph Hölty (*1748 - †1776) anno 1775
Musik: Arie Ein Mädchen oder Weibchen aus Die Zauberflöte von Wolfgang Amadeus Mozart (*1756 - †1791) anno 1791


Üb´ immer Treu´ und Redlichkeit


1. Üb´ immer Treu´ und Redlichkeit bis an dein kühles Grab
und weiche keinen Finger breit von Gottes Wegen ab!

2. Dann wirst du wie auf grünen Au´n durch´s Pilgerleben geh´n,
dann kannst du sonder Furcht und Grau´n dem Tod in´s Antlitz seh´n.

3. Dann wird die Sichel und der Pflug in deiner Hand so leicht,
dann singst du bei dem Wasserkrug, als sei dir Wein gereicht.

4. Dem Bösewicht wird alles schwer, er tue was er tu´;
das Laster treibt ihn hin und her und läßt ihm keine Ruh´.

5. Der schöne Frühling lacht ihm nicht, ihm lacht kein Ährenfeld;
er ist auf List und Trug erpicht und wünscht sich nichts als Geld.

6. D'rum übe Treu´ und Redlichkeit bis an dein kühles Grab
und weiche keinen Finger breit von Gottes Wegen ab!



Links


Die Geschichte des Sangerhäuser Kupferschieferbergbaus
Aufsatz zu den Rohstoff-Voraussetzungen für Kupferschmiede am Südharz bei www.karstwanderweg.de english version
(3 Bundesländer - 1 Wanderweg! Flyer-Download).

Die Preußenchronik
Chronologische Übersicht über Ereignisse in Berlin, Brandenburg, Preußen.

Urlaub im Harz
Die offizielle Tourismus-Seite einer selbst für Römer interessanten Region.

Informationsmaterial über Roßla
(Bezugsquellenangabe)

Information über das ,Potsdamer Glockenspiel'
(PDF-Datei von www.preussisches-kulturerbe.de)

Ein Jahrhundert unter Dampf. Die Anfänge der Eisenbahngeschichte bis zum Ersten Weltkrieg
Eine Darstellung vom DB Museum Nürnberg zur deutschen Dampfeisenbahngeschichte.

140 Jahre Eisenbahn in Mühlhausen
(Ein anschaulicher Artikel zur Entwicklung der Eisenbahn südlich des Harzes.)


Abschließend ist es mir eine Freude, zu bemerken, daß bereits anno 1878 ein Herr namens Ernst Bloßfeld an archäologischen Untersuchungen eines Renaissanceschlosses beteiligt war. Als Landvermesser erhielt er für die Erstellung eines Planes des Gemäuers im estnischen Viljandi 50 Rubel, siehe die estnische Quelle. Inwiefern verwandschaftliche Beziehungen bestehen, mag hier dahingestellt bleiben.


Hinweis: Für die Aktualität, Funktionalität und Korrektheit der angegebenen Links erfolgt keine Gewähr!



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